„Als Schülerin habe ich eine bunte exotische extravagante Gestalt geliebt: Else Lasker-Schüler. Ich wollte solche Gedichte schreiben wie sie, und ich habe sie, als ich noch Gedichte geschrieben habe, sicher oft nachgeahmt“, bekennt Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek in ihrer Rede anlässlich der Verleihung des Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreises in Mainz 2003.
Tatsächlich hatte Else Lasker-Schüler in ihrer Literatur die Kunst entwickelt, Phantasie und Wirklichkeit, Traum und Realität zu einem poetischem Amalgam zu verschmelzen. Leben und Werk fügen sich bei ihr, wie wohl bei keiner anderen Autorin und Künstlerin, zu einer untrennbaren Einheit.
Legendär sind die ersten Sätze ihrer Kurzbiographie in der von Kurt Pinthus herausgegebenen expressionistischen Anthologie Menscheitsdämmerung. Dort schreibt Else Lasker-Schüler:
"Ich bin in Theben geboren, wenn ich auch in Elberfeld zur Welt kam im Rheinland. Ich ging bis elf Jahre in die Schule, wurde Robinson, lebte fünf Jahre im Morgenlande, und seitdem vegetiere ich".
Wie Goethe hat sie ihr ganz eigenes Spiel mit Dichtung Wahrheit getrieben und des Öfteren versucht, ihr wirkliches Geburtsdatum vor zu datieren. In der banalen Welt der Geburtsregister aber wurde sie am 11. Februar 1869 geboren. Ihr Vater, den sie bewunderte, war ein wohlhabender Privatbankier. Ihre Mutter war für sie der "der große Engel, der neben mir ging". Dagegen litt sie unter den scheinbar harmlosen antisemitischen Hänseleien auf dem Schulweg. Diese waren ein tragisches Vorzeichen ihres weiteren Lebensweges.
Poetin der Zeichenfeder
1894 verlässt Else Lasker-Schüler (Wuppertal-)Elberfeld mit ihrem ersten Mann Berthold Lasker und zieht nach Berlin. Hier nimmt sie Zeichenunterricht und lernt den vagabundierenden (Lebens-)künstler Peter Hille kennen, der ihr Mentor wird. Ihre Phantasie entwickelte Else Lasker-Schüler zunächst als "Poetin der Zeichenfeder", indem sie Malunterricht bei Simson Goldberg nimmt . In ihren Zeichnungen schuf sie zahlreiche Figuren, die später zu ihrem poetischen Stammpersonal werden sollten. Über ihre Bilder lernte sie ihren zweiten Mann Herwarth Walden kennen. Walden war auch einer der ersten Komponisten, der ihre inzwischen veröffentlichten Gedichte vertonte. Eigentlich hieß er Georg Lewin. Seinen Namen Herwarth Walden, unter dem er als Galerist und Herausgeber der expressionistischen Zeitschrift Der Sturm berühmt werden sollte, erhielt er von Else Lasker-Schüler. Im Sturm wurden ihre Texte publiziert. So konnte sie zahlreiche Freundschaften unter den Vertretern der expressionistischen Generation und der Avantgarde knüpfen. Besonders eng befreundet war sie mit Franz Marc, dem sie auf die Schlachtfelder des I. Weltkrieges folgen wollte.Mit Gottfried benn verband sie eine kurze heftige Dichterliebe. In Berlin lebte sie nach der Trennung von Walden trotz ihres literarischen Ruhms am Rande der Armut.
Ihr Gesamtwerk umfasst mehr als 500 Gedichte, drei Theaterstücke, Romane, Erzählungen sowie zahlreiche Essays und Zeitungsartikel. In der literarischen Öffentlichkeit wird sie leider bis heute vor allem als Lyrikerin wahrgenommen. Und doch ist gerade eine intensive Auseinandersetzung mit ihren übrigen Werken, insbesondere der Kurzprosa. äußerst lohnenswert.
Ihr wohl wichtigstes Stück IchundIch über deutsche Hochkultur und deutsche Barbarei wurde 2019 anlässlich ihres 150. Geburtstages in Wuppertal in Form einer surrealen theatralischen Installation aufgeführt und in Hamburg als Oper inszeniert. In diesem, ihrem letzten Stück IchundIch stößt sie die Nazis in die Hölle und das Tor zum postdramatischen Theater weit auf. Mehr als einhundert ihrer Bilder gehörten zur Berliner Nationalgalerie, bis sie 1937 als "entartete" Kunst beschlagnahmt wurden. Bis heute ist sie die meist vertonte deutsche Dichterin. Für ihr literarisches Werk wurde sie 1932 mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet, damals die höchste literarische Auszeichnung in Deutschland.
Die Verscheuchte
Als 1933 SA-Truppen sie auf offener Straße schlagen, verlässt Else Lasker-Schüler ihr geliebt-gehasstes Berlin und emigriert in die Schweiz. Kurz zuvor hatte sie sich in ihrem Stück Arthur Aronymus, ihrem Nathan den Weisen, für die Aussöhnung von Christen und Juden eingesetzt. Die Schweiz erteilte, wahrscheinlich auf Druck des III. Reichs, der Dichterin ein Publikationsverbot. Eine Katastrophe für Else Lasker-Schüler, für die Schreiben und Publizieren wie die Luft zum Atmen waren. Dreimal reiste sie nach Jerusalem, auf der Suche nach jenem magischen Ort, an dem sie in Freiheit leben und schreiben könnte. Doch die letzte Reise dorthin sollte zu einer Reise ohne Wiederkehr werden. Der Zweite Weltkrieg war ausgebrochen, und die Schweiz schloss die Grenzen. Noch einmal setze im Jerusalemer Exil ihre Dichtung zu Höhenflügen an. In ihrem Gedichtband Mein blaues Klavier zieht sie die Summe ihres Lebens und schaut zurück auf das dunkel gewordene Deutschland.
Ich habe zu Hause ein blaues Klavier
Und kenne doch keine Note.
Es steht im Dunkel der Kellertür,
Seitdem die Welt verrohte.
(...)
Zerbrochen ist die Klaviatur.
Ich beweine die blaue Tote.
Ach liebe Engel öffnet mir die Himmelstür
Auch wider dem Verbote.
Der "schwarze Schwan Israels", wie ihr Mentor Peter Hille sie genannt hatte, starb am 22. Januar 1945 - wenige Monate vor der Kapitulation Nazi-Deutschlands, die sie leider nicht mehr erleben konnte. Gottfried Benn, dem sie mehrere Gedichte gewidmet hatte, schrieb über sie: "Sie war die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte."